Fortbildung Schwimmen mit Handicap
Seit mehr als hundert Jahren folgt die DLRG ihrem Motto "Jeder Nichtschwimmer ein Schwimmer, jeder Schwimmer ein Rettungsschwimmer". Doch was, wenn das Schwimmen-Lernen schwer fällt? Wenn ein Kind - oder auch ein Erwachsener - ein Handicap hat? Da ist nicht nur viel Geduld gefragt, sondern auch etliches an Extra- und Hintergrundswissen. Genau darum ging es am Wochenende vom 19. und 20. Januar 2019 im Lehrgang "Schwimmen mit Menschen mit Handicap", an dem unsere Ausbilderin Birgit Schäberle teilnahm. Seit gut einem halben Jahr schwimmt sie mit zwei blinden Kindern, weiteres Interesse besteht.
Der Lehrgang selber fand über den DLRG Landesverband Württemberg in Stuttgart statt, wurde aber von der DLRG Ortsgruppe Fellbach organisiert und durchgeführt. Dort gibt es bereits seit Jahren eine große Gruppe geistig behinderter Kinder und Erwachsener, die dort nicht nur das Schwimmen lernen sondern auch wöchentlich trainieren. Die dafür verantwortliche Leiterin Yvonne Meinert ließ sich deswegen als "Schwimmlehrerin für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung" ausbilden.
Wie viel Herzblut sie und ihr Team in diese besondere Aufgabe stecken, durften die neun Teilnehmer dieser Fortbildung - alle bringen selber Erfahrung im Schwimmen mit Menschen mit Handicap unterschiedlichster Art mit - im samstäglichen Training selbst erleben. Die meisten der vorwiegend Trisomie-21-Beeinträchtigten wurden durch ihre Eltern gebracht, andere waren selbstständig mit dem Bus angereist. Aufgeteilt nach Alter und Leistung in verschiedene Gruppen wurde bereits Bekanntes geübt und Neues gelernt. Da wurden Froschbeine und Kraul-Beinschlag trainiert, genauso wie das Heraufholen verschiedener Tauchgegenstände oder das Schleppen eines ermüdeten Schwimmers.
Dass hier andere Gesetze herrschen als im normalen Schwimmkurs oder Schwimmtraining wurde schnell klar: Der Spieltrieb ist deutlich größer, ständig muss motiviert und an die Aufgabe erinnert oder am Weglaufen gehindert werden. Alles braucht viel mehr Zeit und neben dem Schwimmen können auch noch andere Fertigkeiten wie Gleichgewicht oder Zählen geübt werden. Trotzdem ist die Begeisterung bei allen spürbar. Spontan unterstützten die Teilnehmer des Lehrganges das Team der Ausbilder und standen nun vor neuen Aufgaben: Wie erkläre ich etwas so, dass es verstanden wird, oder wie fasse ich einen Erwachsenen an? Was mache ich, wenn mich ein Kind nach dem Umarmen nicht mehr los lässt oder nicht das machen will, was ich fordere?
Viel zu schnell endete das anderthalb-stündige Training und die Kinder und Erwachsenen wurden wieder von ihren Eltern abgeholt und umgezogen. Nach einer kurzen Mittagspause direkt im Schwimmbad wurde selbst ausprobiert, wie es sich anfühlt, wenn man mit einem Lifter, also einem mittels Kran beweglichem Stuhl, ins Wasser gelassen wird (oder einem Gelähmten dabei helfen muss), oder wenn man nur einen Arm oder ein Bein zum Schwimmen zur Verfügung hat.
Nach dem Praxisteil folgte natürlich die Theorie, die aber keineswegs trocken war. Das Team muss natürlich viel größer und vor allem über Jahre hinweg verlässlich sein, der intensive Kontakt mit Eltern und Betreuern (inklusive Einladungen zu Geburtstagen oder Grillfesten) nimmt auch privat viel Zeit in Anspruch, kleinste Schritte führen vielleicht wenn überhaupt erst nach 20 Jahren zum Rettungsschwimmer. Rechtliche und medizinische Fragen wurden genauso angesprochen wie die Finanzierung auch für die Eltern, die Möglichkeit von Schwimmwettbewerben auf nationaler oder internationaler Ebene als besonderes Highlight und vieles mehr.
Die Referentin gab nicht nur gelungene Erfahrungen aus ihrer langen Zeit wieder, sondern genauso Fehlschläge und Schwierigkeiten, alles durchtränkt mit sehr viel Herzblut für "ihre" Behinderten, sodass jeder Lehrgangsteilnehmer viele Tipps mit in seine Ortsgruppe nehmen konnte, um dort das Schwimmen mit Menschen mit Handicap einzuführen oder auszubauen.
Ein weiterer Höhepunkt war die offene Begegnung mit einem seit der Geburt körperlich stark Beieinträchtigten, der ganz offen darüber berichtete, wie viele Hindernisse es bis zum Beckenrand zu überwinden gilt - angefangen beim Umziehen über ausreichend Helfer bis zu den Blicken der anderen Badegäste - und wie wohltuend die Entspannung seiner Spastiken im 32°C warmen Wasser ist.
Eines ist sicher: alle Teilnehmer wollen unbedingt den Aufbaukurs im November besuchen, bei dem der Lehrgang wieder durch die große Gruppe der geistig Behinderten der DLRG Fellbach und zwei schwerst körperlich Behinderte bereichert wird. In der Zwischenzeit plant unser Herrenberger DLRG-Team die Gründung einer eigenen Schwimmgruppe für Menschen mit Handicap.
Veröffentlicht: 23.01.2019
Autor/in: Birgit Schäberle
Kategorie: Jugendschwimmen